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Bachs Passion als ‘work in progress’
This review of our St John Passion in Berlin was published in the Berliner Morgenpost, 6 July 1999.
Schon zu Beginn feierten die Bachtage ihren ersten Hohepunkt. The Bach Players aus London gaben ihr Deutschland-Debüt: ein junges, vor drei Jahren gegründetes Ensemble, das sich ganz auf den Thomaskantor spezialisiert hat. Die vorzüglichen Musiker um den am Cembalo sitzenden Gary Cooper beherzigten das diesjährige Motto ‘Das Neue im Alten’ und boten die Johannes-Passion in einer Version, die man so gut wie nie zu hören bekommt. Wirklich neu ist sie aber nicht. Man weiß längst, daß der Praktiker Bach alle seine Passionen als ‘Work in progress’, also je nach Umständen als veründerbare Gebilde behandelt hat.
Von den insgesamt fünf nachweisbaren Fassungen der Johannes-Passion enthält die aus dem Jahre 1749 im Vergleich zur wohlvertrauten Gestalt nicht besonderes zahlreiche Änderungen. Lediglich drei Arien haben einen anderen Text. Hier und da hat Bach Notenzusätze gemacht, andere Instrumentenkombinationen vorgeschrieben. Wie im Kleinformat angelegt, erschien die Wiedergabe der ziemlich unbekannten Fassung. Ein 14-köpfiges Mini-Orchester, dazu ein 10-köpfiger Chor, vom Evangelisten wurden die Solopartien einfach von den Chormitgliedern ubemommen.
Doch diese Reduktion klang ungewohnt hell, durchsichtig und klar, und das in gefährlich zügigem Tempo. Eine Passion gleichsam im Schnellgang, bei der zum Gluck nie forciert und gehetzt wurde. Die hervorragend geschmeidig begleitenden Bach Players, der zwar namenlose, aber gleichwohl ausgezeichnete Chor, aus dem Peter Harvey (Christus) und Matthew Brooks (Pilatus) vor allem hervorragten, sowie Mark Padmore (Evangelist) hielten stets die Balance. Historisches Bewußtsein, Notentreue und Aussagekraft des Werkes lassen sich durchaus vereinen.
W. Sch.